Wer bin ich und warum habe ich diesen Text geschrieben?
Ich möchte den später folgenden Überlegungen einige grundsätzliche Bemerkungen voranstellen, die Ihnen helfen sollten, das Gesagte aus dem richtigen Blickwinkel zu betrachten. Die Überlegungen beziehen sich auf die Auswahl meiner Unterrichtsmaterialien, die ich Euch in einer Materialsammlung zur Verfügung stellen möchte.
Zuerst zu meiner Person, denn ich nehme an, Sie wollen wissen, wer das ist, der zu Ihnen spricht und Ihnen was andrehen will.
Ich hab’s – gehend, laufend, stolpernd, wie ich’s schon auf meiner Homepage festgestellt habe – doch bis zum „Überleben der Sorge ums tägliche Überleben“ geschafft, was ich nie erwartet hätte, und jetzt arbeite ich einfach weiter und wühle nebenbei in den Relikten meiner diversen Tätigkeiten. Bevor ich den ganzen angesammelten Krempel auf den Mist werfe, lege ich einiges auf den Wühltisch zur freien Entnahme; – vielleicht kann jemand damit etwas anfangen und Einiges weiter verwenden. (Das Meiste gar nicht auf eigenem Mist gewachsen, und wenn doch, dann bitteschön, auch diesbezüglich „fair play“!).
Dieses hier sind Überlegungen und Materialien zum Sprachunterricht (insbesondere DaF / DaZ?).
Mit dem Sprachunterricht hab ich während meines Studiums Anfang der 70er Jahre angefangen, zum „Brotverdienen“; – aber ich habe es, wie fast alles andere auch, mit Hingabe und Leidenschaft gemacht. Einige meiner damaligen engagierten KollegInnen und meine Wenigkeit haben damals DaF und die „moderne“ Sprachdidaktik (zumindest in Österreich) neu erfunden.
Zunächst waren es (jahrelang) Studenten, Diplomaten, Geschäftsleute, Fachkräfte und Sprachurlauber aus aller Welt, die gegen Bezahlung in meinen Kursen saßen, und das hat wirklich Spaß gemacht: Aktivierendes Training, Gruppenarbeit, Partnerübungen, Spiele, Team-Teaching und gemeinsame Vorbereitungen, – locker, lustig und sehr intensiv. Dann waren es ebenso jahrelang amerikanische Uni Studenten, dann in meiner langen Zeit in Japan Studenten, Dozenten, Professoren an der Uni (Kant, Hegel und Luhmann auf Deutsch, neben Musil und Bernhard!) und alle möglichen Leute in einem von mir mitbegründeten deutschen Kultur- und Sprachzentrum. In Russland ging’s dann – neben medizinischem Fachwissen – eher mehr um Englisch als Wissenschaftssprache. In den letzten Jahren dann die vorläufig letzte Etappe als nebenberuflicher Sprachlehrer: AMS finanzierte Deutschkurse, nicht ganz ohne Hintergedanken (Integrationsproblematik z.B.).
Also zusammengefasst einige tausend „Sprachschüler“, hunderte „Sprachkurse“ und an die hundert SprachlehrerInnen, mit denen ich zum Teil zusammengearbeitet, sie kennen gelernt und beim Unterrichten beobachtet habe. Einige Sprachen habe ich auch selbst versucht zu lernen, bin aber – vielleicht aus purem Zufall – immer nur auf schlechte Sprachlehrer gestoßen. (Einer hat mich sogar hochkantig aus dem Französisch Abendkurs geworfen, weil ich auf Anfrage zugegeben habe, dass ich auch Englisch lerne.)
Mein eher brotloser „Hauptberuf“ war und ist ein Gemisch aus Philosophie, Soziologie, Psychologie, Geschichte und Literatur- und Sprachwissenschaft, unterfüttert mit einer Portion Neurowissenschaften, was ich mir alles mehr oder weniger in Theorie und Praxis zu Gemüte geführt habe. Sprachphilosophie und Sprachpsychologie war allerdings eine Nuss, an der ich seit meiner Jugend knabberte. Später hat mich dann immer mehr die System- und Gestalttheorie als Hintergrund der modernen Kognitionswissenschaft fasziniert.
Trivial oder spitzfindig: „Sprache“ kommt von „sprechen“ – und nicht von lesen, schreiben, hören! Soll heißen: Alles gehört natürlich dazu und zusammen, aber der Schwerpunkt, die Priorität liegt auf „sprechen“.
Ein altgedienter Professorkollege an einer japanischen Universität, mein Arbeitszimmernachbar, behauptete von sich, er beherrsche 16 Sprachen. Wie ich selbst erfahren musste, verstand er kein Wort Englisch, Deutsch, Französisch oder Russisch; er hat etwas gelesen, was ich auf Deutsch aufgeschrieben habe und hat dann mit dem Kopf genickt. Offensichtlich hat er mich verstanden. Ein Taubstummer? Hat er die Sprachen wirklich beherrscht? Wenn die wenigen Zeichen auf dem Blatt Papier ausreichten, um sich mit mir zu verständigen, sollte ich sagen „Ja!“. (Oder aber, er dachte in der eigenen Muttersprache und „transkribierte“ jedes schriftliche Zeichen in diese. Wer weiß?)
Dazu muss ich anmerken, dass Kinder normalerweise eine Sprache, ihre Muttersprache lernen – und das heißt mit ihrer Umwelt kommunizieren lernen – durch „etwas tun“ und „erleben, was dann passiert“, also: schreien, weinen, lächeln, gestikulieren, Laute artikulieren, usf. Da beginnen dann die bestärkenden Feedback Schleifen. Der Rest ist gezieltes Lenken der Mediumverwendung durch die Erwachsenen: Sprechen bevorzugt! Wenn das Wort „Mama“ mal funktioniert, ist der Bann gebrochen und das Ausprobieren, welche Laute noch funktionieren, kann losgehen. (Ich empfehle, sich dazu mal den Lev Wygotski - auch "Vygotsky" geschrieben - anzuschauen: "Denken und Sprechen" )
Nun glauben wir aus der modernen Neurowissenschaft zu wissen, dass derartige Lernprozesse so genannte „Systemfunktionen“ darstellen, was so viel heißt wie: fast alle Fasern und Zellen des Körpers sind daran beteiligt und was mit dem Erfahren und Lernen der Funktion des Wortes „Mutter“ in der sozialen Interaktion zusammenhängt, ist nichts anderes als „Einprägung“ (wie beim Münzprägen) des gesamten Bündels organismusinterner Aktivitäten, Zustände und Befindlichkeiten in dieser Interaktionssituation. (Dasselbe gilt für alles Erfahrungslernen auch!) Das heißt: eigene Aktivitäten werden – wie wir heute sagen – „gespeichert“.
Das Wichtigste in abgekürzter Form heißt demnach: Mein Hirn, die Nervenzellen, die Muskeln, der Mund arbeiten, um ein Wort, einen Satz zu artikulieren und meine Ohren hören mich sprechen und das Hirn verarbeitet dann rückkoppelnd das Gehörte, und so weiter: Das sind Aktivitäten! Eine ganze Menge sogar! Es sind sogar noch weitaus mehr, wenn ich ein Wort, einen Satz schreibe, meine Augen dabei zusehen und mein Mund die Worte gleichzeitig spricht und meine Ohren hören…….
Ich habe in all den Jahren des Sprachunterrichtens die Erfahrung gemacht, dass „Sprechen“ das weitaus wirksamste „Mittel“ ist, um in der sprachlichen Kommunikation Fortschritte zu machen. Ein weiser alter Sprachlehrer in Damaskus hat einmal gesagt: Wenn der Lehrer mehr als ein Drittel der Zeit spricht, dann ist er ein schlechter Lehrer. (Die Schüler sollen sprechen!) Er war ein wirklich herausragender Sprachlehrer!
Sie denken sich jetzt: Na und!? Wusste ich ja schon immer! Nichts Neues! Dann wundert es mich umso mehr, dass fast niemand von den vielen, vielen Sprach-Lehrkräften sich daran orientiert, sondern gegen die eigene Einsicht stundenlang Monologe hält. Aber darauf – auf die Rolle der Lehrkraft – komme ich später noch zurück.
Zwei wichtige Punkte muss ich hier noch erwähnen, die etwas später noch Thema sein werden.
Wir – als bezahlte Sprachlehrkräfte – unterrichten zwar eine Sprache wie Deutsch oder Englisch, eine Sprache im engeren Sinn, aber ich denke wir sollten „Sprache“ nicht allzu eng fassen, denn was dann allzu leicht die Folge ist, dass wir Wörter, Sätze, Grammatik lehren und nicht „Sprache“.
Ein zweiter Punkt, der unmittelbar damit zusammenhängt, ist: Es muss (ich sage bewusst „muss“, weil das heute eine so allgemein anerkannte Bedingung ist) beim Sprach-Unterricht immer um etwas gehen, was mich, die Leute „angeht“. Das soll heißen: Sprache ist Medium, Mittel zum Zweck. Ich, wir, unsere „Schüler“ brauchen und benutzen Sprache nur, um anderen Leuten, Freunden, Kollegen, Kindern, Vorgesetzten, Feinden, Fremden, …. etwas mitzuteilen, sie zu fragen, zu ärgern, ihnen Zuneigung zu bekunden, sich zu positionieren, – um zu erfahren, was los ist, was von uns erwartet wird, was wir tun sollen und was nicht. Das was ich hier schreibe, könnte ich auch jemandem sagen, in einfacheren Worten, oder ich könnte einen anderen Stil verwenden, einen belehrenderen und weniger langatmigen (Sie müssen! Achten Sie darauf! etc.). Aber meine Frage lautet: Worum geht es mir? Und die Antwort hat Konsequenzen. Es muss immer um etwas gehen! Es muss! Wenn nicht, dann….. Haben Sie verstanden? Was? Was? Was? Worum kann es denn in der „Klasse“ gehen?
Ich höre das hilflose Seufzen meiner KollegInnen, die sich überhaupt diese Frage stellen. Und all die schönen, bunten und in dieser Hinsicht erschreckend dummen Lehrbücher helfen auch nicht weiter, ganz im Gegenteil, sie lenken von der Frage ab!
Beide Punkte zusammen möchte ich später unter dem Titel „aktivierendes Training“ aus meiner Sicht besprechen.
Jetzt werden Sie mich am liebsten steinigen wollen, wenn ich sage, dass ich nur sehr wenige Lehrkräfte kenne – und ich kenne sehr viele, natürlich Sie ausgenommen –, die ihr Handwerk gelernt haben, so vom Lehrling an bis hin zur Meisterschaft.
Diese wenigen platzieren sich nicht – realiter oder virtuell – im Zentrum, an dem kein Weg vorbei führt, sie stehen nicht auf der Kanzel, von wo aus ihnen kein Blick, kein Laut und keine Bewegung des kleinen Fingers der Schützlinge entgeht. Sie sind nicht permanent von der Angst geplagt, ihre Autorität zu verlieren, weshalb sie auch nicht schreien, drohen, ermahnen, zurechtweisen, strafen, belohnen, loben und schelten und die Wände vollkleben mit Verbotsschildern und Strafandrohungen. Sie verstecken sich nicht hinter dem angeblichen Disziplinierungsauftrag der Gesellschaft, des Arbeitsmarktes, des Auftraggebers, des Kursmanagement. Sie überschwemmen die dummen, faulen, lernunwilligen Anbefohlenen nicht mit einem nie enden wollenden dozierenden Redeschwall. Sie benehmen sich nicht wie die Götter, die angeblich alles wissen. Sie schütten die Zöglinge auch nicht zu mit Tests und Ausfüllübungen. Kein: Wehe, wenn da jemand schwätzt, abschreibt, schummelt oder sonst wie unanständig auffällt! Nein, das tun sie alles nicht.
Aber sie lenken die Gruppe mit ruhiger, geduldiger und vor allem unsichtbarer Hand, so dass sich die Menschen sicher, geborgen und wohl fühlen und aufzublühen beginnen. Mit feiner Selbstironie genießen sie es, wenn in der Klasse um sie ein Hauch von Eros schwebt. Sie lachen auch und scherzen. Sie haben keine Angst vor der spielerischen Nähe des „Du“, die im Herzen ernst gemeint ist. Wo und wann immer es geht, nehmen sie sich zurück, sehen schmunzelnd zu und helfen wenn nötig Zurückgebliebenen auf die Beine. Sie inszenieren die kleinen Spiele des Lebens in der Klasse und moderieren das zwischenmenschliche Theater – von dem sie ein Teil sind – mit Fingerspitzengefühl. Vor allem: Sie geben nicht vor, jemand zu sein, die oder der sie nicht sind, – sie sind lebendig, authentisch sie selbst und das macht sie stark. Und der Erfolg gibt Ihnen Recht. Ich versuche noch immer, von ihnen zu lernen!
Ich denke, Sie wissen jetzt ungefähr, was ich meine.
Die Frage ist jetzt: Wie macht man das? Ich widerstehe der Versuchung nur schwer, Ihnen zu sagen: „Machen Sie dies und machen sie das!“
Manche meiner KollegInnen wunderten sich, dass ich in der Klasse immer einen rollenden Schreibtischsessel verwende. Ich brauche ihn! Vor Unterrichtsbeginn setze ich mich schon darauf, fahre innerhalb des Tischkreises hin und her, von Teilnehmer zu Teilnehmer, auf gleicher Augenhöhe mit ihnen, und begrüße sie, frage relativ private Sachen, was sie gestern Abend gemacht haben, wie’s den Kindern, der Mutter geht, korrigiere ihre Schreibereien, und wenn mir nichts mehr einfällt, fahre ich zum nächsten Teilnehmer, lasse sie oder ihn etwas lesen, korrigiere die Aussprache, frage vielleicht, ob sie diese oder jene Meldung in der Zeitung gelesen oder im Fernsehen gesehen hätten, und so weiter, bis alle TeilnehmerInnen – pünktlich oder unpünktlich – eingetrudelt sind und der Unterricht ganz offizielle beginnen kann.
Ich halte dieses Aufwärmen für sehr wichtig. Ich gebe damit fast spielerisch die Marschroute vor: sprachliche Kommunikation über Sachen, die Menschen betreffen, und diese Menschen interessieren mich! Es interessiert mich, was sie beschäftigt.
Wie beginne ich den Unterricht?
Möglichst immer anders. Im Prinzip geht es um das Vorgeben eines Generalthemas. Das kann sich ergeben aus den Vorgesprächen in der Aufwärmplauderei, z.B. Gewitter am Abend, vielleicht Zahnschmerzen, schlecht geschlafen > Krankheit, Arztbesuch = Thema. Meist lässt sich so ein Anknüpfungspunkt finden, den ich auch direkt anspreche (Mehmet hat gestern ….). Da muss ich dann natürlich vorsorglich einen, dem Niveau entsprechenden, dazupassenden Kurztext vorbereitet haben. (Auf das dann folgende Arbeiten mit Texten komme ich später noch zu sprechen.)
Als Einstieg kommen natürlich unterschiedlichste Möglichkeiten in Frage: Sprechtraining-Sätze („Mundgymnastik“ nenne ich das), Partnersprechübung, Bildbeschreibungen, freies Erzählen / Berichten, Wiedergabe einer kurzen Zeitungsmeldung, usw. (Auch diese Möglichkeiten kommen etwas später ausführlich zur Sprache.) Wichtig scheint mir, dass das Generalthema nicht an den Haaren herbeigezogen, beliebig aufgesetzt wirken darf. Das Thema muss die Teilnehmer abholen und auf eine Reise führen; – es muss, zumindest ansatzweise, neugierig machen, an Interessen anknüpfen.
Ich gebe zu, das ist nicht so leicht und gelingt auch nicht immer. Trotzdem: Es gibt tausende Interesse weckende Themen und Fragestellungen, von den Sternen und dem Universum angefangen bis hin zur Zeitmessung, dem Geld, den Viren und Steinen vom Mond, den Sitten und Bräuchen und den alltäglichen kleinen Freuden und Weh-Wehchen. Alles kommt in Frage! (Nur nicht die in den meisten Lehrbüchern „konstruierten“ Themen.)
Was folgt ist ein immer etwas anders zusammengesetztes Puzzle unterschiedlicher Arbeitsformen, Techniken, Szenarien und Methoden, das wie ein Theaterstück inszeniert und moderiert zu werden verlangt. Dabei versuche ich, dass entweder auf die eine Lern-Form fast wie selbstverständlich die andere folgt (z.B. verstehendes Lesen, Lese-/Schnellsprechtraining, Automatisierung > Kurzdiktat desselben, Partnerkorrektur/Diskussion), oder aber dass etwas völlig Neues, Überraschendes kommt (z.B. ein neues Lernspiel). Ich habe mir im Laufe der Jahre so etwas wie einen „virtuellen Apothekerschrank“ zusammengebaut, aus dessen Schubladen ich Bewährtes ziehe, das sich in eine bestimmte Sequenz wie von selbst einfügt.
Darin, dass ich weiß, was ich tue, welches „das“ auf das „dies“ folgt, darin liegt meine Autorität, mein „Beherrschen“, – die Autorität der Moderation, die sich nicht in den Vordergrund setzt.
Nun gibt es in fast jeder Unterrichtssequenz noch einen Punkt, an dem ich als Lehrkraft aus meinem Versteck heraustreten muss.
Es gibt Dinge, die ich als geübter, studierter Muttersprachler weiß und auch erklären kann und sollte. Ich meine jetzt nicht die ominösen „Adjektivendungen“. Diese und ähnliche grammatikalischen Sachverhalten kann man so auf- und vorbereiten und den Teilnehmern auf den Tisch legen, dass sie die letzten Schritte bis zum „Aha, so geht das, jetzt verstehe ich!“ ganz alleine, selbst machen können. (Es müssen aber die Anreize, das „Rätsel“ zu lösen und die nötigen Schritte, die dahin führen, so gesetzt werden, dass die Teilnehmer nicht allein gelassen in der Luft hängen. Kleingruppenarbeit hilft zusätzlich. Oder: Los, schwätzen Sie drauflos!)
Ich selbst halte mich mit grammatikalischen Erklärungen sehr zurück, – sie bringen wenig und es geht anders leichter und wirksamer. Wenn Teilnehmer nach Erklärungen des „Warum“ etwas verstehen, heißt das noch lange nicht, dass die Sache, die erklärt wurde und offensichtlich verstanden wurde, in den aktiven Sprachgebraucht übergegangen ist. Also gehe ich meist den umgekehrten Weg: automatisierender Sprachgebrauch (hören lernen und können, was passt und was falsch kling, wie bei der Musik; üben, üben, üben) und irgendwann später dann die erhellende Aufklärung mit bildlich grafischer Unterstützung. Wenn ich z.B. ein passendes Szenario wähle – davon wird gleich die Rede sein – in dem die Nebensatzbaupläne spielerisch zigmal durchgespielt werden können, ohne zu langweilen, dann kommt der Punkt der Einsicht irgendwann ganz von selbst, und wenn bei einigen nicht, dann springen andere TeilnehmerInnen ganz automatisch ein und weisen mit stolz geschwellter Brust darauf hin, wie der Hase läuft. (Dieses – dass TeilnehmerInnen ihren KollegInnen etwas beibringen, zeigen und erklären – ist überhaupt das Gelbe vom Ei! Da kommen die Emotionen, die Gruppendynamik ins Spiel.)
Bei Spielen, Partnersprechübungen und anderen spielerischen Aktivitäten spiele ich immer mit; oft suche ich mir bewusst schwächere Kursteilnehmer aus, manchmal aber ebenso gezielt starke, damit diesen nicht langweilig wird, wenn sie immer nur mit schwächeren zusammenspielen. Es geht um das Ausbalancieren der Ungleichheiten in der Gruppe. Tut man dies konsequent und respektvoll, dann begreifen die Teilnehmer sehr bald, dass sie aufeinander Rücksicht nehmen, einander helfen und sich gegenseitig anspornen sollen. Niemand, und sei sie/er auch noch so schwach, widerwillig oder verschlossen, soll zurückgelassen werden. Die Gruppe entwickelt langsam ein (kollegiales) Lernklima, das Druck von Seiten der Lehrkraft fast erübrigt.
Ich sehe meine Aufgabe als Lehrkraft in den Anfängerkursen in erster Linie darin, die Teilnehmer – oft handelt es sich um ImmigrantInnen, die außerhalb des Kurses keine oder kaum Möglichkeiten, Notwendigkeiten, Anreize haben, auf Deutsch zu kommunizieren – über jene Schwelle zu bringen, jenseits welcher es ihnen Freude zu machen beginnt, sich sprachlich in einer Welt auszuprobieren, zu der sie bisher keinen Zugang hatten. Ist dieser „Knopf“ einmal aufgegangen, stellen sich kleine Erfolgserlebnisse ein; und sind die Ängste überwunden, dann werden sie hungrig zu lernen, und die Lernkurve schnellt nach oben.
Etwas anders verhält es sich mit den Fortgeschrittenenkursen. Hier sehe ich meine Aufgabe im Wecken von Interessen, im Neugierigmachen für das zu Entdeckende in unserer gemeinsamen Lebenswelt. Die Sprache – in diesem Fall die Deutsche Sprache (Und Latein! Sehr wichtig!?), denn die Teilnehmer leben jetzt in einer dominant deutschsprachigen Welt – dient als Vehikel, als Mittel zum Zweck, um an Informationen heranzukommen, Türen aufzuschließen und neues Gelände zu erschließen.
Ich beginne meist mit Selbstverständlichkeiten des Alltags, die bei genauerem Hinsehen alles andere als selbstverständlich sind. Das kann sein: die rechte und die linke Hand, der Kalender, Maße und ihre Entstehungsgeschichte, etwas Mathematik, Physik, Biologie, Psychologie, Technik, vor allem Geschichte, andere Kulturen, Religionen und ihre Geschichte, – ein schier endlos weites Feld an erstaunlichen und aufregenden Dingen. Dabei spiele ich nicht den „Wissenden“, so wie irgendein(e) Wissenschaftler(in) in der Kinder-Uni – die ich übrigens toll finde –, sondern ich übernehme eher die Roller der fragenden Kinder; die Teilnehmer kramen ihr vermeintliches Wissen oder Unwissen hervor und gehen auf Wissenssuche. Das Lernen der Sprache passiert parallel auf dem Nebengleis.
Ein wichtiger Punkt dieses nebenbei Lernens ist das Erforschen der Bedeutungsfelder von Wortfamilien; das versetzt Teilnehmer in Staunen und gibt Einblicke in die Welt der Vorstellungen und ihrer Entwicklungsgeschichte in unterschiedlichen Kulturen. Das „Gesicht“ von „sehen“ kommt (und auch „Erscheinung“ bedeuten kann), oder „gefährlich“ von „fahren“ (eine unsichere Reise machen), etc, damit kann und sollte man schon in den Anfängerkursen beginnen.
Warum glaube ich dies? Weil ich derselben Überzeugung bin wie die Kommunikationsforscher, dass nämlich so ein „Code“ (wenn er gelernt ist) – das gehörte, gesehene Wortgebilde, bzw. der Satz – bestimmte, durch Erziehung und Erleben eingeprägte Vorstellungsbilder (mit all ihren Konnotationen) wachrufen, wobei von „gegenseitiges Verstehen“ dann gesprochen werden kann, wenn die „Bilder im Kopf“ des Sprechers mit denen des Hörenden einigermaßen übereinstimmen. Das Problem dabei ist, dass in unterschiedlichen Kulturen (Sprachen / auch Subkulturen und Gruppen) unterschiedliche Bildelemente zu „Szenen“ zusammengefügt werden. Damit schlagen sich dann die Übersetzer herum.
Deshalb: Wortfamilien mit Bedeutungsfeldern lernen! Diese vorzuzeigen und an plastischen Beispielen zu veranschaulichen, das ist eine herausfordernde Aufgabe für die Lehrkraft, das erfordert Phantasie und etwas schauspielerische Übung!
Ich habe weiter oben gesagt: Disziplinierung? Nein, danke! Das ist nicht unsere Aufgabe! Ich setze auf behutsames Aufklären, Überzeugen, zur Einsicht verhelfen (womit man aneckt und womit man Blumen erntet). Disziplinierung führt nur dazu, dass manche Menschen in unbeaufsichtigten Momenten erst recht genau das tun, was sie – zum eigenen und dem Nutzen Anderer – besser nicht tun sollten. (Denken Sie an die Raser oder Alkolenker auf der Straße, wenn sie zu wissen glauben, dass da kein Polizist und kein Radar stehen.) Also: respektvolle, geduldige Erziehungsarbeit zur Selbstverantwortlichkeit.
In einem Punkt jedoch halte ich es doch mit etwas „Disziplinierung“: Beim Training der Gehirn-Ganglien (hinsichtlich Kurz-, Mittle-, Langzeitgedächtnis), da spiel ich den unnachgiebigen Sparringpartner. Ich nenne hier zum besseren Verständnis zwei Beispiele. Wechselpräpositionen und Verbformen.
Als Vorgeschichte zu den Wechselpräpositionen gibt es meist den „Wundergarten“ (Siehe Materialien). Dass es sich bei den Präpositionen eigentlich um Relationen, Beziehungen handelt, ist noch mal eine andere Sache. Es geht um die langzeitliche Verknüpfung von Vorstellung (Aktion, Erfahrung) und Wort. Also, ich spiele, zeige und spreche zunächst – auf meinem Sessel im Innenkreis sitzend, > stehend, gehend – der Reihe nach vor (auf, unter, vor, hinter,….), lasse die Teilnehmer im Chor Wort für Wort nachsprechen und nachspielen (gestisch oder mit Gegenständen hantierend), dann spreche ich und lasse zeigen und umgekehrt, die ganze Gruppe zugleich und einzeln der Reihe nach – tun, sehen, sprechen, hören – bis es halbwegs funktioniert. Nach einer Stunde oder zwei die ganze Sache etwas verkürzt noch mal, am nächsten und übernächsten Tag und nach zwei bis drei Wochen noch mal.
Ähnlich auch bei den meiner Meinung nach ungeheuer wichtigen und meist vernachlässigten Verbformen. (Ich verstehe nicht, warum sich manche KollegInnen wochenlang mit nichts anderem herumschlagen als mit den Artikeln der Hauptwörter / Nomen.) In zahlreichen Schleifen wird das – wie beim Sporttraining – immer wieder und wieder durchtrainiert: gehen-ging-gegangen, sehen-sah-gesehen > ich sehe, du siehst / ich gehe, ich bin gegangen; ich sehe, ich habe gesehen. Vorsprechen, nachsprechen; vorzeigen der Aktivität (Gesten), verbalisieren, variieren, erweitern, vermischen, und so weiter. Bei den Artikeln der Hauptwörter versuche ich eher – während der gesamten Kursperiode – immer wieder das Hören anzusprechen: Was klingt in Ihren Ohren besser und was tut weh: die Fuß, das Fuß, oder der Fuß. Dann probieren sie selbst zu sprechen und sich dabei zuzuhören. Meist finden die Teilnehmer von ganz allein die richtige Kombination; wenn nicht, macht nichts, es gibt ja noch einen nächsten Tag zum Wieder-Probieren des „Gehörsinns“. Regelwerke sind hier fehl am Platz!
Lassen wir es damit bewenden, denn ich sehe Sie förmlich mit dem Kopf schütteln, womit Sie mir sagen möchten: „Nein, nicht mit mir! Das ist alles zu viel verlangt. Wer bezahlt mir den Mehraufwand und die zusätzlich benötigte Arbeitszeit?! Ich mache weiter, wie bisher, das kann ich, da kenn ich mich aus. Wozu das alles!? Und überhaupt … !
Ja, Sie mögen Recht haben, wenn Sie – wovon ich nicht ausgehe – zu jenen gehören, die bei jeder Gelegenheit den Videorecorder einschalten und irgendwelche schnulzigen Filme zeigen und ihre Teilnehmer stundenlang in den Computerraum abkommandieren, wo diese dann irgendwelche, meist dumme, aufgemotzte Multiple-choice Aufgaben zum x-ten mal absolvieren müssen und Sie selbst währenddessen Ihre E-Mails schreiben oder die Zeitung lesen. Ich habe auch SprachtrainerInnen erlebt, die sich einfach ins Lehrerzimmer verabschiedet haben, während die Teilnehmer einen langen Text abschreiben mussten (Vielleicht war ihr/ihm gerade nicht wohl?).
Ich will mich hier kurz halten, denn es gibt zum Thema „Kursteilnehmer“ kaum etwas zu sagen, was uns allen nicht ohnedies hinlänglich bekannt ist: Wir haben es mit Menschen zu tun, die unterschiedlicher gar nicht sein können, und wir wissen nie, mit wem wir es zu tun haben werden, wenn wir in eine neue Gruppe gehen, die ebenso neugierig wartend schon in der Klasse sitzt.
Ich bevorzuge heterogene Gruppen, – heterogen nach Alter, Geschlecht, Herkunft, Schulbildung, Lebensgeschichte, Interessenslagen, Religion, und vor allem Sprache, – aber nicht unterschiedlich im Sprachniveau! Natürlich gibt es auch Gruppen, die sehr homogen und trotzdem produktiv und interessant sind, aber die sind (in unserem derzeitigen Arbeitsfeld) eher die Ausnahme.
Ein Thema allerdings scheint mir wert und wichtig genug, dass man darüber einige Bücher schreiben könnte: Motivation. Ich habe mich lange genug und ausführlich mit dem Thema „Motivation“ beschäftigt, um mit ruhigem Gewissen sagen zu können: Das ist der Angelpunkt, das „sine qua non“ unserer Arbeit als Trainer bzw. Sprachlehrkraft.
Ich wiederhole kurz, was ich schon im Buch „Collaborativ Blended Learning“ und an anderer Stelle ausführlich behandelt habe (siehe z.B. einige Artikel auf meiner Homepage).
„Motivation ist ein Spannungszustand in einem Kräftefeld in einer Person und zwischen dieser und seiner Umwelt.“ Das kann ich unterschreiben! Die Aussage stammt – nicht ganz wortwörtliche – von Kurt Lewin. Wer das ist? Bitte, nachforschen lohnt sich! Er sagte weiters: „Lernen ist ‚Bewegung’, und damit sich etwas bewegt, muss so eine Spannung vorhanden sein.“ Ich erlaube mir, dazu einige Folien einzufügen, die ich mal für ein Pädagogikseminar fabriziert habe. (Datei mit Folien im Download)
Etwas konkreter und praktischer schaut das so aus:
Gehen Sie in die Klasse und stellen Sie ohne ein Wort zu sagen, einen großen Kochtopf (oder einen Papierkorb) auf den Tisch. Die Teilnehmer werden erst mal verwundert schauen, gespannt auf eine Erklärung warten und schließlich wird der Eine oder die Andere fragen: Was soll das?
Sie haben ein Faktum geschaffen, ein gähnendes Loch aufgerissen, das mit einer Antwort, einer Erklärung wieder zugeschüttet werden muss. Was ich sagen will ist: Egal was Sie machen; das, was Sie machen, muss dazu angetan sein, so ein Spannungsfeld „Was denn nun? Was soll denn das? Wie geht denn das? Wie geht das weiter? Was will der von mir? Was will sie und damit sagen? …… „ aufzuspannen. Was folgt, sind wenige Hand-Griffe, Fußstapfen, Wegweiser, welche die ersten Schritte auf dem Weg zur Lösung (durch die Teilnehmer selbst) anzeigen. In der Materialiensammlung gibt es unter „Fun“ z.B. einige Aufgaben, die die Gehirnganglien so richtig ins Schwitzen bringen, und wenn man nicht aufpasst und keine „hints“ zur Lösung gibt, erschlafft die Neugierde schnell und die Teilnehmer wenden sich frustriert ab. Eine eher einfache davon ist folgende: Setzen Sie die Reihe fort. E Z D / V F S / S ? ? (Die Lösung heißt: A N = acht neun (Anfangsbuchstaben der Zahlenreihe von Eins bis Neun).
Auf den Sprachunterricht umgelegt heißt das zweierlei: Alle Aufgaben, Übungen, Tests, Wiederholungen müssen eine echte Herausforderung darstellen, sie müssen irgendwo an den emotionalen, psychischen, kognitiven Gegebenheiten der Adressaten (Kursteilnehmer) andocken und wie ein angespanntes Gummiband zum Ziel hin wirken.
Dasselbe gilt in noch größerem Maße für alles, was wir unter „Inhalte“ subsumieren, für dasjenige, worüber gesprochen, verhandelt und nachgedacht wird. „Nach dem Weg fragen“ oder Einkaufsgespräche z.B. sind als Thema sehr schnell stinklangweilig, wenn nicht noch etwas anderes hinzukommt, etwas reizvoll Spielerisches zum Beispiel, was den Ehrgeiz, die Konkurrenzlust auf die Bühne ruft.
Für diese Aktivität müssen Materialien vorbereitet werden. Beispiel dafür finden Sie in den „Materialien“.
Eine Möglichkeit besteht darin, Kurztexte in Gedichtform zu wählen, die bildliche Vorstellungen provozieren, wie etwa „Meine Mutter hatte einen Garten, und das war ein Wundergarten“, oder „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad.“. Davon gibt es allerdings recht wenige.
Eine andere Möglichkeit, die ich wie die Fingerübungen beim Klavierunterricht fast täglich nutze, besteht darin, sehr kurze, alltägliche Sätze in „Endlos-Text-Form“ aufzuschreiben, so wie sie mir gerade einfallen. Ich hantle mich assoziativ von einem Satz zum nächsten, bis eine Seite voll ist. Dann gehe ich das Ganze noch mal durch und variiere, erweitere und modelliere die Mustersätze. Die Sätze sind abgestimmt auf das aktuelle Sprachniveau und auf die gerade aktuellen grammatikalischen Lernziele und auf Wochen-/Tagesthemen. Dann habe ich so eine Muster-Sprechübung vor mir liegen. Diese baue ich für jede Gruppe und Woche in der Weise um, dass ich persönliche Bezüge auf Teilnehmer einbaue. So z.B. (für eine Anfängergruppe):
Es ist heiß. Im Zimmer ist es heiß. Heute ist es heiß. Im Garten ist es kühl. Muhammed sitzt im Garten. Er sitzt im Gras. Er trinkt Tee. Ich sitze auch im Garten. Ich trinke ein Bier. Das Bier ist kalt. Der Tee ist heiß. Im Irak ist es heiß. In Sibirien ist es kalt. Im Kühlschrank ist es kalt. Im Kühlschrank ist ein Eis. Ich esse gerne Eis. Wer möchte ein heißes Eis essen? Musa sitzt im Kühlschrank und isst ein kaltes Eis. (und so fort)
Worum geht es dabei? Es geht um
a) Automatisieren von möglichen Wortkombinationen in einer bestimmten Form [man kann z.B. nicht sagen „Heute es ist heiß?“, das klingt ‚in den Ohren’ nicht gut] und in einer grammatikalisch korrekten Weise „ich esse“, „er isst“……
b) Einüben des schnellen und flüssigen Artikulierens eines ganzen Satzes (wie ein Wort) mit der passenden, „richtigen“ Intonation.
c) Provozieren der automatischen Verknüpfung von gehörter, gesprochener Wortkombination (Satz, Aussage) und Vorstellungen. Wenn ich vorspreche, wie oben „ein heißes Eis“, „Musa sitzt im Kühlschrank“, oder: „Mehmet hat einen Freund. Musa hat keinen Freund. Seine Frau hat einen Freund…“, und der Betreffende ruft „Nein, meine Frau hat keinen Freund!“ und die ganze Gruppe lacht, dann hat es funktioniert. Die Teilnehmer beginnen auf Deutsch zu denken und ihre Vorstellungen, Erfahrungen, Gedanken in der Zweitsprache zu codieren (versprachlichen) bzw. umgekehrt.
Je lustiger, absurder und manchmal auch blöd die Sätze sind, je mehr gelacht wird, desto besser. Es ist ein spielerischer Umgang mit Sprache, und in diesem Spiel ist fast alles erlaubt, denn alle wissen, dass es ein Sprachlernspiel ist. (Manchmal nehme ich einen "interessanten" Satz heraus, lasse ihn an die Tafel schreiben und danach soll jede/r Teilnehmer/in reihum den Satz sprechen aber dabei ein Wort - erst Nomen, dann Verben, usf. - austauschen und es soll lustig, absurd sein; - ich beginne natürlich, damit die TN wissen, wie's geht.)
Diese „Gymnastik“ dauert 10 bis 15 Minuten. Ich spreche vor, die Teilnehmer sprechen im Chor nach (sie können sich dabei zur Wand drehen, oder die Augen schließen). Ich höre genau hin, ob alle korrekt nachsprechen; wenn nicht, wiederhole ich den Satz, oder lasse den murmelnden, unklar sprechenden Teilnehmer den Satz nachsprechen. Ich wechsle dauernd das Tempo, je nach Länge und Kompliziertheit des Satzes, und ich achte auf unterschiedliche Lautstärken und Intonationen.
Wenn es ermüdend und langweilig wird, breche ich einfach ab und gebe vier bis sechs Sätze daraus als Diktat.
Das Diktat macht für mich nur dann Sinn, wenn dabei die eigenständige Versprachlichung von Vorstellungsbildern geübt wird. Die Orthografie kommt erst an zweiter Stelle (außer in Alphabetisierungsgruppen, da funktioniert es natürlich anders). Daher: Ich wähle einen (geübten) Satz aus der Sprechübung, fordere die Teilnehmer auf, gut zuzuhören und nicht zu schreiben. Ich spreche den Satz zwei bis dreimal in einem Fluss vor und begleite ihn wenn möglich mit Gesten. Wenn ich den Eindruck habe, dass die Teilnehmer den mit dem Satz bezeichneten Sachverhalt begriffen haben, dass sie sich den Sachverhalt bildlich vorstellen können, lasse ich sie den Satz niederschreiben, ohne mit einzelnen Wörtern nachzuhelfen. (Anfangs schreiben viele TeilnehmerInnen zwei, drei Wörter und wissen dann nicht weiter; sie fragen „Welches Wort kommt dann“. In diesem Fall bleibt der Satz dann unvollständig, denn ich helfe nicht.)
Die Korrektur machen die Teilnehmer, die Gruppe selbst, entweder schreibt jeder Teilnehmer einen Satz an das Whitebord (die Tafel) und die Gruppe diskutiert, was richtig und was falsch ist. Oder die Blätter werden in der Gruppe ausgetauscht und von Partnern korrigiert. Zuletzt gebe ich vorbereitete Blätter mit den Sätzen zum kontrollierenden Vergleichen aus oder schreibe die Sätze auf das Flipchart.
Die Sprechübungen tausche ich jeden dritten Tag oder jede Woche und nehme dieselbe Sprechübung zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal vor, so lange eben, bis die „Strukturen“ in den aktiven Sprachgebrauch übergegangen sind. Die dazugehörenden Textblätter gebe ich nicht aus, und wenn, dann einige Wochen später.
Die Fehlersuche eignet sich nur für gut eingeübte Satzstrukturen und dient eher der Aufmerksamkeitsschulung und Festigung des Gelernten.
Ich nehme zum Beispiel eine Seite einer Sprechübung (wovon gerade die Rede war) und baue bis zu 20 kleine Fehler ein (z.B. falsche Verb-Endungen, Kasusendungen, Präpositionen, Verb-Flexion, Artikel der Nomen, Doppelkonsonanten, etc.). Ich lasse z.B. zwei Gruppen bilden, die gegeneinander antreten. Welche Gruppe mehr Fehler gefunden hat, hat gewonnen. Überprüfung durch Vorlesen durch die Teilnehmer. Da gibt es oft heftige Diskussionen, was richtig und was falsch sein könnte.
Die korrigierten Sprechübungsblätter können die Teilnehmer zum Üben nach hause mitnehmen. Die verschriftlichten Sprechübungen gebe ich bis zu diesem (späten) Zeitpunkt wie gesagt nie aus, weil die Teilnehmer üblicherweise dazu neigen, alles, was auf Papier steht, als wertvoll zu betrachten, zu sammeln und aufzubewahren. Ich pflege dann zu sagen: Was auf dem Papier steht, ist nicht im Kopf! (Also vergessen Sie das Papier, außer sie sind ganz sicher, dass Sie es am Abend noch mal anschauen.)
Die Hausaufgaben sollte ich in diesem Zusammenhang noch erwähnen. Ich gebe prinzipiell keine Hausaufgaben, weil ich weiß, dass viele Teilnehmer unter Bedingungen wohnen und leben, die ein konzentriertes Arbeiten zu hause unmöglich machen. Wenn jemand selbständig übt, dann merke ich das natürlich und ich gehe in der Aufwärmrunde darauf ein (aber nicht wie ein Papa, der seine fleißigen Kinder lobt).
Ich schätze es sehr und fühle mich in der Klasse wohl, wenn ein gewisser Lärmpegel in der Klasse herrscht. Da passiert es dann natürlich immer wieder, dass jemand etwas dem Plenum mitteilen oder mich fragen möchte und der Rest der Klasse hört nicht zu oder man kann den Sprecher nicht hören, weil es etwas zu laut ist. Ganz einfach: Ich klopfe mit dem Bleistift dreimal auf den Tisch, das Rauschen im Walde ebbt ab, es wird still und ich zeige auf den „möchte-gern Sprecher“: Sie/Er möchte uns etwas sagen! Das funktioniert sehr bald ganz ausgezeichnet, denn den Teilnehmern wird schnell klar, dass sie die/der nächste möchte-gern Sprecher/in sein können. Wenn ich an geschlossenen Klassentüren vorübergehe und da herrscht Grabesstille in der Klasse, dann denke ich mir immer: Da stimmt etwas nicht!
Allerdings, wenn die Teilnehmer förmlich nach einer Erklärung „lechzen“, und ich erkläre dann mal etwas, dann herrscht wirklich die von mir gewünschte gespannte Aufmerksamkeit. So weit so gut! Das ist eine Sache des Trainings, die jede Lehrkraft durchlaufen sollte! Man muss sich nur auf den Versuch einlassen und nicht von vornherein sagen bzw. denken: Ich muss meine Trainer-Autorität durchsetzen, mit allen Mitteln! (Respekt, Toleranz, Rücksichtnahme, Einfühlungsvermögen, Hilfsbereitschaft, Aufmerksamkeit, Optimismus, Selbstkritik, Engagement, und so weiter, das muss ich als Lehrkraft vorleben, sonst glaubt mir niemand!)
Partnerdialoge sind eine Möglichkeit, die Teilnehmer möglichst viel selbst tun, sprechen und denken zu lassen. Aber bitte möglichst nicht die meist dummen (weil nicht-realistischen und witzlosen) Musterdialoge aus den Lehrbüchern. Die kann man, wenn wirklich nötig, ein- bis zweimal mit verteilten Rollen sprechen lassen, dann steckt der Karren im Wüstensand fest.
Ergiebiger sind die von den Autoren xy so genannten „Wechselspiele“ mit einem Frage-Antwort-Blatt A und einem Blatt B. Da haben die Teilnehmer zumindest ein klein wenig die Möglichkeit, eigene Informationen einzubringen (in den Spalten „Und Sie?“ „Und Ihr Partner?“). Ich verwende sie, bevorzuge aber Selbstgebasteltes. Da gibt es zahlreiche Möglichkeiten; – die Kreativität und Phantasie der Lehrkraft kann sich da auf einem schier grenzenlosen Feld austoben.
Formen der Partnerdialoge sind z.B.:
a) Partnerinterview: Fragen zur Person, in allen Schwierigkeitsgraden (Beispiele dafür finden Sie in den Materialien), bezogen auf Erlebnisse, Familie, Beruf, Wünsche, gute und schlechte Erfahrungen, Überzeugungen, Aktivitäten vom Wochenende, Krankheiten, usf.
b) Wissenscheck: Das sind unterschiedliche Formen von Quiz-Spielen. Einige sehr brauchbare habe ich im Internet gefunden.
c) Memory: Dabei handelt es sich eher um Lernspiele. Memory-Spiele verwende ich eher in Anfängergruppen, wo es z.B. darum geht, ein Bild, eine Darstellung mit dem entsprechenden sprachlichen Ausdruck zu belegen. Diese Merk-Spiele mache ich auch ohne Papier-Vorlage, – ich spiele Sachen pantomimisch vor oder lasse sie vorspielen. Das geht ganz gut mir Verben, Adjektiven, Berufen, Gegenständen. Für das Erraten von Gegenständen (Bezeichnungen) gibt es ein Gruppenspiel, wo ein Teilnehmer aus der gegnerischen Gruppe ein Wort ins Ohr geflüstert bekommt und dieser dann seiner eigenen Gruppe die Sache pantomimisch vorspielen muss (ohne ein Wort zu sagen, nur mit dem Kopf nicken oder verneinend schütteln). Ich denke, Sie kennen das Spiel.
d) Wettkampf: Das sind Sprech-, bzw. Ratespiele, bei denen es ums Gewinnen geht. Dafür gibt es Blatt A und Blatt B. Bei richtig geraten darf weiter geraten werden, bei falsch geraten darf der Partner raten. Ausführlicher dazu dann in den entsprechenden Materialblättern.
Wichtig scheint mir, dass man sich die Fragen, bzw. die Aufgaben möglichst nahe an die konkreten Personen und Lebensbedingungen dran ausdenkt. Ich formuliere die (mündlichen) Fragen nie selbst, sondern deute sie (schriftlich) durch eine Aufforderung oder durch Stichworte an. Die Teilnehmer sollen die Fragen eigenständig so weit wie möglich selbst formulieren. (z.B.: Fragen Sie Ihre(n) Partner(in) nach dem Alter seiner/ihrer Mutter. Naheliegende Frage: Wie alt ist Deine Mutter?) Die unterschiedlichen Frageformen und Fragewörter haben wir vorher schon lange durchgenommen. Die Antworten sollen stichwortartig schriftlich festgehalten werden, um später im Plenum berichten zu können. Während der Partner-Frage-Antwort-Spiele fahre ich mit meinem Rollstuhl von Paar zu Paar und höre hinein, korrigiere vorsichtig die Antworten, oder stelle eine Zusatzfrage, d.h. ich mische mich als Gesprächspartner auch ab und zu ein.
Bei allen Partner-Sprechspielen gebe ich keine Erklärungen, was die Teilnehmer in welcher Form tun sollen, sonder ich wähle einen Partner für mich und spiele mit ihm/ihr 2 bis 3 Frage-Antwort Sequenzen vor, möglichst im Innenkreis. Bei ungerader Teilnehmerzahl spiele ich dann natürlich selbst mit.
Die Auswahl der Fragen überlasse ich den Teilnehmern, was sie selbst interessiert oder lustig finden, – also kein ‚der-Reihe-nach’ Zwang! Außerdem deute ich auf den Aufgabenblättern mit leeren Linien an, dass die Teilnehmer auch selbst Fragen erfinden sollen. Zusatzfragen-Stellen wird auch in der Plenarphase praktiziert, wo jeder Teilnehmer berichtet, was sie/er herausgefunden hat.
Ich halte es für wichtig, die einzelnen Phasen der Sprechspiele nicht so weit auszureizen, dass die Spannung erschlafft und die Neugierde erlahmt. Ich breche ab, wenn ich merke, dass es zu langweilen beginnt und die Luft raus ist; ich gebe dem Spiel eine neue Wendung oder wende mich und die Gruppe anderen Dingen zu.
Ich bin überzeugt davon, dass Sie Geschmack an der „aktivierenden Methode“ finden, wenn Sie mal mit so einem kleinen Spielchen (oder mit einem der folgenden) beginnen; – Sie müssen ja nicht gleich Ihren ganzen Unterrichtsstil und Ihre Materialien in den Müll werfen.
e) Plenum-Fragespiele
Natürlich kennen Sie die Oper auch von innen und Massenszenen auf der Bühne sind Ihnen auch nicht unbekannt, wo viele Leute durcheinander laufen, singen und rufen. So etwas gibt es auch im Sprachunterricht und ich bilde mir ein, ich hätte das erfunden; – vielleicht habe ich das Rad auch nur zum zweiten Mal erfunden.
Also die Sache war so: Anfang der Siebzigerjahre hatte ich in diesem Wiener Sprachinstitut Gruppen mit über zwanzig Kursteilnehmern, die saßen dann alle in relativ kleinen Klassenzimmern mit Schulbänken oder Tischreihen. Das hat mich an meine Volksschullehrerzeit mit all den Zwängen erinnert. Eines Abends gab es im Clubraum des Instituts eine Abendveranstaltung; da passten an die hundert Leute hinein. Am nächsten Tag hab ich ohne lange zu fragen diesen Clubraum einfach in Beschlag genommen, denn er stand ja ohnedies tagsüber immer leer. Plötzlich gab es Raum in Hülle und Fülle zum Herumlaufen, Gruppenbilden, Theaterspielen und zum freien Atmen. Einfach herrlich! Fast jede Woche habe ich z.B. ein Plenum-Wettkampfspiel gemacht und das ging so: In der Mitte des Raumes liegt auf einem Tisch ein wirrer Haufen Papierstreifen. Auf jedem Streifen steht eine Frage (oder Aufgabe). Jeder Teilnehmer fischt sich einen Streifen und geht damit auf Jagd, er stellt von Kollegin zu Kollegen so lange immer wieder dieselbe Frage (z.B.: Bist du / Sind Sie schon einmal von einem Baum gefallen?), bis sie/er eine Ja-Antwort bekommt. Den Namen des Antwortenden schreibt sie/er dann auf den Streifen und holt sich den nächsten. Wer am meisten Streifen auf diese Weise gesammelt hat, ist Sieger. Die ersten fünf bekommen eine Trophäe oder haben einen Wunsch frei (die Gewinnerpreise spielten eigentlich fast keine Rolle). Die Teilnehmer setzen sich wieder auf ihre Plätze und berichten im Plenum, was sie herausgefunden haben, und zwar lustige, interessante Sachen, wie: Herr x hat ein Loch in seinen Socken und Frau y schläft nachts immer ohne Pyjama. Es darf gelacht werden!
Auf den Streifen gibt es auch Wörter und Sätze, die die Teilnehmer noch nicht verstehen. Das macht nichts, im Gegenteil, sie kommen dann in all dem Trubel zu mir oder fragen eine(n) PartnerIn: Was heißt das? Das müssen sie dann auch den Befragten erklären (Erklären als super Form des Selbst-Lernens).
Wie vorhin mit den Sprechspielen ordne ich auch alle möglichen Formen schriftlicher Lernmaterialien dem Motto unter: Wie schaffe ich Sprech-, Kommunikationsanlässe? Dies gilt vor allem in den unteren Sprachniveau-Stufen, denn da sollen die Kursteilnehmer in erster Linie lernen, mit ihrer Umwelt zu kommunizieren, und zwar mündlich, nicht schriftlich. Das geschriebene, gelesene Wort bekommt erst in den Oberstufen größere Bedeutung. Ich weiß, dass manche KollegInnen das nicht so sehen, aber ich bin davon überzeugt, dass dies der richtige Weg ist: Das Sich-Entfalten-Können im sozialen Raum – und der ist nun mal Sprach- und Kulturabhängig und vor allem ist er ein „Sprech-Raum“ – ist für mich die Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben (wozu Freundeskreise ebenso gehören wie das miteinander Leben und Wirken im öffentlichen Raum, Beruf und Freizeit. Die Abschottung der „Ausländer-Enklaven“, wo die von Immigranten mitgebrachte kulturelle Tradition und deren Sprache alle Bedürfnisse abzudecken scheint, führt – wie wir inzwischen wissen – längerfristig zu schmerzlichen Konflikten und Defiziten.).
Kurzgeschichten halte ich für ideale Sprechanlässe. Sie müssen allerdings einen diskussionswürdigen Kern enthalten, sei es eine lustige Pointe, ein Problem oder eine Fragestellung, welche im Leben der Kursteilnehmer eine Rolle spielt (z.B. Was ist die „richtige“ Religion? Darf der Mann zu hause kochen?). Oder aber die Geschichte erzählt – wie ein Märchen – ein Geschehnis, das Lust macht zum Weiter-Erzählen (z.B. den eigenen Kindern zu hause).
Ich verwende unterschiedliche Erarbeitungsformen und Herangehensweisen, z.B.:
a) Jeder Teilnehmer bekommt eine andere, sehr kurze Geschichte, die sie/er allein durcharbeitet, um sie dann im Plenum (am Flipchart stehend und zeichnend) ihren/seinen KollegInnen zu erzählen. Diese können nachfragen, und ich helfe auch vorsichtig, wenn der Erzähler sich in zu komplizierten Formulierungen verfängt. Dies passiert alles ohne Zuhilfenahme des Textes, weshalb eine gewisse Sprachbeherrschung vorausgesetzt werden muss; also für Anfängergruppen weniger geeignet. Das Erzählen kann sich über mehrere Tage erstrecken, weil an einem Tag mehr als zwei Geschichten ermüdend wirken. Die schwächeren Teilnehmer haben dadurch die Möglichkeit, zu hause oder in den Pausen den Text noch mal zu studieren und eventuell Verständnisfragen zu stellen, bis sie zum Erzählen drankommen.
Dieses nacherzählende „storry telling“ bildet die Vorstufe und gibt meist auch den Anstoß dazu, eigene kurze Geschichten und Erlebnisse zu erzählen, was einigen Teilnehmern Riesenspaß macht, andere drücken sich anfangs davor, weil ihnen ihre eigenen Geschichten oder „Unfälle und Zufälle“ nicht erzählenswert genug erscheinen. Da lässt die Gruppe aber nicht locker und verlang mit Klatschen und ermunternden Zurufen die Geschichte.
b) Ich lese die Geschichte selbst vor, langsam und plastisch. Die Teilnehmer haben den Text vor sich und lesen mit. Die wenigen Schlüsselwörter habe ich entweder vorher schon bildlich auf dem Textblatt eingefügt, oder ich mache das auf dem Whitebord: Wort + Skizze.
Ich halte es für wichtig, dass die Teilnehmer lernen, einen Text in den wesentlichen Aussagen zu entschlüsseln und zu verstehen, auch wenn sie nicht jedes Wort verstehen. Daher verzichte ich auf Wort-für-Wort Erklärungen. Außerdem nehmen wir uns den betreffenden Text während der gesamten Kurszeit mehrmals vor. Wenn z.B. „dass-Sätze“ ein Lernstoff sind, dann nehme ich einen alten Text mit mehreren dass-Sätzen noch mal zur Hand. Auf diese Weise werden bereits gelernte aber möglicherweise wieder vergessen Wörter und Phrasen in Erinnerung gerufen. Um das Wiederholen der Texte nicht langweilig werden zu lassen, gebe ich denselben Text z.B. als Lückentext – mit jeweils unterschiedlichen Übungsansätzen – aus, lasse aber die Aufgabe fast nie alleine machen, sonder als „Teamwork“ (Kleingruppen oder zu zweit). Abschauen und abschreiben sind überhaupt kein Problem. Das regelt sich von selbst (Teilnehmer werden dann spielerisch geizig und schützen ihr „geistiges Eigentum“ oder ermahnen und hänseln den Abschreiber.) Am Ende des Kurses kennen die Teilnehmer einige Lesetexte fast auswendig und sie zitieren bei jeder Gelegenheit aus ihnen.
Der nächste Schritt sieht folgend aus: Die Teilnehmer drehen das Textblatt um und ich rekonstruiere mit wenigen Fragen die Geschichte gemeinsam mit den Teilnehmern. (Wie viele Personen? Wer? Wo spielt die Geschichte? Was macht der Mann, die Frau, das Kind … ? Und dann, was passiert dann? etc.) Anfangs geht das etwas mühsam und ich passe auf, dass nicht immer dieselben Leute etwas sagen, frage also namentlich etwas (das kann allerdings leicht zum Gängelband führen). Meine Leitfragen erübrigen sich dann mit der Zeit, denn die TeilnehmerInnen wissen, nach welchem Schema eine Rekonstruktion funktionieren kann. Wenn die Geschichte in groben Zügen rekonstruiert ist, lesen die Teilnehmer der Reihe nach Stück für Stück die Geschichte noch ein- oder zweimal laut durch.
Danach greife ich eine Passage heraus, die mir hinsichtlich Wortschatzerweiterung oder grammatikalischer Struktur interessant und wichtig genug scheint. An dieser Stelle kann – muss aber nicht – eine schriftliche Übung folgen, mit denen die betreffenden Lernstoffe geübt, auf andere Zusammenhänge angewendet werden können (Präpositionen und Präposition-Verb Kombinationen sind dabei ein schier endloses Übungsthema). Möglich ist auch, drei bis vier Sätze als Diktat zu geben (siehe dazu weiter oben).
Bei Geschichten, die ein Problem thematisieren, führe ich die Gruppe (nach dem nochmaligen Lesen) gleich in eine Diskussion, lasse Vermutungen anstellen und Meinungen äußern, achte aber immer darauf, dass die Sprechen nicht immer mich ansprechen, sondern ihr KollegInnen. (Manchmal setze ich mich leicht schräg hinter die/den Sprecher/in und helfe ihr/ihm wie ein Souffleur beim Formulieren der Äußerungen. Das Korrigieren während des Sprechens scheint mir eines der heikelsten Probleme zu sein, nämlich wie viele Fehler man durchgehen lässt, um den Redefluss nicht zu stoppe, - wie man die/den Sprecher/in unterbricht ohne abzuwürgen.
Kursteilnehmer freuen sich besonders, wenn ich eine von ihnen erzählte Geschichte (aus ihrer Heimat, oder ein persönliches Erlebnis) am nächsten Tag in schriftlicher Form mit ein paar Illustrationen mitbringe, und wir lesen die Geschichte gemeinsam dem Plenum vor.
Zu den problemfokussierten Texten gehört auch die Geschichte vom Mädchen und dem Hochwasser. Dieser Text mündet in ein (psychologisches) Spiel, bei dem Teilnehmer Position beziehen und diese argumentativ verteidigen müssen, wobei das Ziel die Einigung auf eine bestimmte Position innerhalb einer Kleingruppe ist. Das ist spannend und die Teilnehmer diskutieren noch stundenlang nach dem Spiel über das Problem. (Eine ausführliche Spielanleitung ist dem Text in den Materialien beigefügt.)
Sagen, Erzählungen, Fabeln, Märchen sind meist etwas längere Texte und die brauchen dann auch mehr Zeit zur Erarbeitung, allerdings sind sie zum Nacherzählen (insbesondere Sagen und Märchen, wie etwas „Frau Holle“ oder „Der Basilisk“) für Gruppen mit etwas fortgeschrittener Sprachkompetenz besonders gut geeignet, weil sie eine intuitive Handlungslogik aufweisen und plastische „Bilder“ enthalten. Außerdem bieten sie zahlreiche Möglichkeiten, Ausflüge in semantische und kulturgeschichtliche Gefilde zu unternehmen (wie z.B.: Pechmarie > Pech, Pech haben, Pechsträhne > Pech = schlechtes Blut des Baumes, das er loswerden will; Menstruation der Frau als böses Blut > Pech und Schwefel > Teufel und Hexen > und so weiter.) Dazu bringen Teilnehmer dann meist auch Assoziationen aus dem eigenen Kulturkreis ein, oder sagen: Bei uns ist das auch so ähnlich. Oder: Meine Mutter hat mir ein ähnliches Märchen erzählt.
Derart spannende Texte lese ich mit der Gruppe einfach durch, mache zwischendurch auch mal Rekapitulationspause, eventuell mit kurzen Verständnisfragen, aber nicht zu lange, damit der „Spannungsfaden“ nicht abreißt: Wie geht die Geschichte aus??
Das freie Nacherzählen und Darüber-Sprechen folgt dann oft erst am nächsten Tag unter dem Motto: Ich bin heute der Märchenerzähler und ich erzähle Euch meine Geschichte. (Die/der Teilnehmer/in kann das Märchen nach Belieben umformen und dem Verlauf auch eine eigene Wendung geben. (Bei „Rotkäppchen“ oder „Hans im Glück“ funktioniert das wunderbar.)
Auch und vor allem bei längeren Texten achte ich darauf, dass so eine Text-Arbeitsphase nicht länger als maximal 50 Minuten dauert. Das heißt: wenn nötig, einfach abbrechen, eine andere Arbeitsform wählen und zu einem späteren Zeitpunkt mit der Textarbeit fortfahren, außer die TeilnehmerInnen verlangen, mit dem Text bis zum Ende weiter zu machen.
Bildgeschichten gibt es in den diversen Lehrbüchern leider viel zu wenige und selbst welche zu fabrizieren ist zumindest für mich äußerst mühsam. Wahrscheinlich kennen Sie die meisten Bildgeschichten, wie etwa die Vater-Sohn Geschichten selbst gut, weshalb ich meine Sammlung nicht in die Materialien aufnehme, auch weil es da Urheberrechtsproblem geben könnte. (Bei den Texten ist das zwar auch ein Problem, doch bei den meisten Geschichten sind die Urheber unbekannt, ich habe zumindest keine Hinweise gefunden. Meine Überarbeitungen fallen natürlich nicht unter „Urheberschaft“!)
Bei den Bildgeschichten gibt es – wie bei Texten auch – eine Abstufung von leicht bis schwer (weil lang und mit erforderlichen verschlungenen Satzkonstruktionen). In „Deutsch Aktiv“ gab es einige Bildfolgen (Kürzestgeschichten), die auch von Anfängergruppen zu meistern waren. Alle Bildgeschichten verwende ich sowohl für das geleitete Erzählen (Bildbeschreibung), als auch für das eigenständige schriftliche Formulieren. Bis zu den mittleren Sprachniveaus mache ich zuerst die Geschichte mündlich und danach (eher selten) die Verschriftlichung. (Stummes Schreiben vermeiden! Jedes Wort sollte während des Schreibens auch gesprochen, geflüstert werden.)
Bildbeschreibungen halte ich in Anfängergruppen für nützlich, weil damit der Wortschatz erweitert werden kann und leichte Aussagesätze (meist mit Präpositionen für Orts-, Zeitangaben) geübt werden können.
Eigentlich gehören meine „Bildbeschreibungen“ zu den Partnersprechübungen, weil ich alle verfügbaren Bilder abgewandelt habe, und zwar: Ich habe mit Tipp-Ex einige Gegenstände retuschiert (abgedeckt), auf Blatt A andere als auf Blatt B, ähnlich wie die in Zeitungen abgedruckten Fehlersuchbildchen, und dann Kopien angefertigt. Die Vorgehensweise ist klar: Frage-Antwortspiel, wie oben. Allerdings, abgedeckte Gegenstände kann ich vorher nicht mit Namen versehen bzw. erklären, weil dann das Ratespiel nicht mehr funktioniert. Möglich ist auch, dass es nur ein Blatt mit einem vollständigen Bild und einem fehlerhaften gibt und Kleingruppen dann auf Fehlersuche gehen: „Wer findet mehr?“ Da hat man aber dann das Problem, dass Teilnehmer einfach mit dem Finger hinzeigen, statt mündlich zu beschreiben: „Auf meinem Frühstückstisch steht hinter dem Marmeladeglas ein Eierbecher und im Eierbecher ist ein Ei.“ „Ja, ich habe auch einen Eierbecher, aber da ist kein Ei drinnen.“
Natürlich mache ich auch Grammatik, aber kurz und intensiv. Es gibt meiner Meinung nach so etwas wie „grammatikalische Grundsteine“ (das Fundament), ohne die das Haus immer wackelig sein wird. Dazu gehören z.B. die Satzklammer (Modalverb plus Verb, Perfekt Satzstruktur) / Passiv-, Futur-Bildung / Konjunktionen, Nebensätze / und Ähnliches. Zu fast allen mir wichtig erscheinenden grammatikalischen Fragen habe ich eigene Texte entwickelt, von denen ich einige in die Materialien aufgenommen habe.
Worum geht es da? Ich habe versucht, eine Story zu finden, einen sehr kurzen Text zu schreiben, dem man ganz klar die dahinter steckende Absicht ansieht, ein grammatikalisches Problem exemplarisch zu behandeln, der aber trotzdem nicht gekünstelt wirkt. Nehmen Sie zum Beispiel den Text „Optimist oder Pessimist“. Kein normaler Text würde gehäuft so viele starke Verben und Imperative enthalten und trotzdem von den Aussagen her gesehen glaubwürdig erscheinen. Zusätzlich enthält der Text temporale Adverbien (von „nie“ bis „immer“), auf die ich bei der Erarbeitung, beim Lesen des Textes aufmerksam mache, die ich auch ‚in Wort und Bild’ erkläre (z.B. häufig > der Haufen, Sandhaufen, Misthaufen, … / manchmal, einmal, manche Leute, … ) und damit die direkte Aufmerksamkeit von den Verbformen ablenke, die sollen sich als Selbstverständlichkeiten wie 1+1=2 ins Gedächtnis einschleichen, natürlich durch mehrmaliges Sprechen und Variieren.
Zum Wechsel des Stammvokals bei Verben gibt es eine Vielzahl mehr oder weniger gute Übungen in den Lehrbüchern und im Internet. Die nehme ich zur Festigung des zu Lernenden selbstverständlich gerne zur Hand, um sie mit der Gruppe durchzumachen, und zwar nur mündlich! Auf keinen Fall schreiben, denn das Schreiben lenkt ab und täuscht das „Besitzen“ vor. (Daher Übungsblätter wieder einsammeln und später neuerlich ausgeben.) Zu einem späteren Zeitpunkt kann die Übung dann auch schriftlich gemacht werden, zur Selbstkontrolle, ob etwas wirklich „im Kopf“ ist.
Fast alle „Grammatiktexte“ enthalten auch diskussionswürdige Themen und Fragen. Ich schwenke also nach maximal 20 Minuten Textarbeit auf das Diskutieren um. Den Schlusspunkt unter das ganze Kapitel setzte ich meist mit einem nochmaligen laut Lesen des Textes, oder mit schriftlichen Auswahlfragen zum Inhalt des Textes (wofür die Teilnehmer noch mal im Text nachlesen müssen).
Ich habe in die Materialiensammlung keine expliziten Grammatik-Übungsblätter aufgenommen, weil es davon genug gibt. Was den „Grammatik-Unterricht“ betrifft halte ich es mit dem „Mut zur Lücke“. In jeder Grammatik Lernsequenz sollte nur das absolut Notwendige angesprochen werden, und nicht – wie manche „Buchhaltertypen“ es zu tun pflegen – möglichst im Detail und vollständig von A bis Z (vielleicht tun sie es, um damit ihre Wissensautorität unter Beweis zu stellen). Ich halte das langsame, schrittweise Auf- und Ausbauen für wesentlich wirksamer: „Erinnern Sie sich an ….., da haben wir gelernt ….., und das war aber noch nicht alles …., da gibt es noch…., so wie hier an dieser Stelle…. “ Oder wie auch immer, auf jeden Fall wiederholen, anknüpfen, weiterführen!
Mit den Tests ist das so eine Sache: die sollten ganz genau auf die Gruppe, das Niveau, das Wochenthema usw. abgestimmt sein. Manche Gruppen rufen jede Woche nach einem Test, um sich selbst zu bestätigen oder einfach weil es Spaß macht, ähnlich wie beim Kreuzworträtsel oder Sudoku Ratespiel. Ich lege wenig Wert auf individuelle Tests, denn ich weiß ganz genau, was meine „Schüler“ können und was nicht. Die Noten oder Punktevergabe halte ich für antiquiert und überflüssig: Anerkennung durch die Autorität schafft Abhängigkeiten, Unterwürfigkeit und „für Orden in die Schlacht ziehen“; außerdem habe ich etwas gegen das noch immer grassierende Obrigkeits(staats)denken.
Lustiges, Spiele und Denksport
In den ersten zwei bis drei Wochen eines jeden Sprachkurses baue ich zwischen intensiven Arbeitsphasen immer wieder spielerische Aufgaben ein. Sie sollen dazu beitragen, die anfängliche Verkrampftheit und Ängstlichkeit der TeilnehmerInnen aufzulösen. Sie tragen aber auch dazu bei, ein „Lernen-macht-Spaß“ Arbeitsklima zu schaffen und offensichtlich zu machen, dass wir alle Menschen mit Stärken und Schwächen sind und dass wir es gemeinsam schaffen.
Bei all diesen Aktivitäten – und da gilt auch für alle sonstigen Aufgabenstellungen, Test, Fragebögen, etc. – gilt für mich der Grundsatz: Auf umständliche Erklärungen der Spielregeln, Anleitungen verzichten und stattdessen exemplarisch vorspielen, vormachen. Wenn mir Spiele oder Aufgaben unterkommen, bei denen die Spielanleitung bzw. die Anleitung zur Lösung der Aufgabe das Sprachniveau der TeilnehmerInnen, für die die Aufgabe gedacht ist, bei weitem übersteigt, dann fülle ich damit den Papierkorb und ärgere mich gar nicht mehr über die Gedankenlosigkeit der Verfasser. Daher: Spielanleitungen sind für die Lehrkräfte!
Alles, was sonst noch im Unterricht passiert, was den Unterricht erst so richtig lebendig macht, passt nicht in eine Materialsammlung. Ich hoffe aber, dass einige Materialien doch dazu angetan sind, eine Ahnung davon zu vermitteln, was ich für einen sinnvollen, für alle Seiten befriedigenden Sprachunterricht halte. Ich habe alles im Word Format belassen, damit Sie selbst an den Materialien herumbasteln können. Von den ursprünglichen eigenen Zeichnungen habe ich nur sehr wenige eingescannt, sondern sie der Einfachheit halber durch ClipArts ersetzt. Ich hoffe, es stört nicht.
Und verzeihen Sie bitte meinen manchmal etwas selbstherrlichen Ton in dieser Einleitung, – es war und ist nicht so gemeint. Von der hohen Kunst des Sprachunterrichts bin ich mit Sicherheit noch weit entfernt.
Was fehlt noch? Ach ja, das "Amen im Gebet".
Eine Sprache lehren ist - das möchte ich abschließend noch mal unterstreichen - ist weit mehr als Wörter und Grammatik unterrichten, - es ist die Erkundung der Äußerbarkeit und Mitteilbarkeit von Freude, Hoffnung, Trauer und Schmerz, Liebe und Hass, Anteilnahme und Zurückweisung, von Ich und der Welt im Ich, und überhaupt von allem, was Menschen bewegt und was sie bewegen; Sprache ist Interaktion und Sprache lernen ist Denken und soziales Handeln lernen. (Sorry, - Vygotsky oder Wittgenstein haben das viel besser gesagt.)